Diese Fahrt war von vornherein anders angelegt als die vorangegangenen, die in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführt wurden. Ob in Berlin oder Sachsen oder Bayern, die Programme standen immer unter einem politischen Thema mit Besuchen von Institutionen und Begegnungen mit Politikern.
Diesmals waren die Akzente anders gesetzt. Unter der Verantwortlichkeit des Vorstandsmitgliedes Kurt Schürmann wurde in Zusammenarbeit mit dem Lechenicher Bus-Unternehmen Gäke das Land Thüringen als Ziel und Thema der Reise angeboten. Das Programm schien wenig spektakulär: Statt der klassischen Route von Eisenach über Erfurt und Weimar nach Jena sollte es eher in das weniger bekannte Thüringen gehen mit der Stadt Mühlhausen als Zielort. („Wo liegt Mühlhausen?“)
Sonntag, 21.06.
Punkt 6 Uhr rollte der 60-Personenbus mit 32 Teilnehmern aus dem ZOB Hürth. Erstes Ziel war die Wartburg, Glanzlicht jeder Thüringenfahrt. Obwohl die meisten sie schon kannten, war es doch für alle interessant, nochmals die Stätten wiederzusehen, an der die hl. Elisabeth gewirkt hat – ein Kleiod ihre Kemenate! – wo der Sängerkrieg stattfand und wo Martin Luther als Junker Jörg die geniale Übersetzung des NT schuf.
Nach 16 Uhr Ankunft in Mühlhausen, Hotel „Mirage“. Unser erster Eindruck hat sich täglich bestätigt: Es ist – bei zivilen Preisen – ein Hotel 1. Wahl, vom Service bis zum Frühstücks- und Abendbüffet (wer konnte da widerstehen!).
Montag, 22.06.
Angesagt war eine Rundfahrt durch Thüringen.
Wer da eine stundenlange Kutschiererei mit endlosen Hinweisen und Erklärungen befürchtet hatte, wurde angenehm enttäuscht. Ein älterer Herr, kompetent und angenehm in Umgang und Stimme, gab interessante Einblicke in Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Landes: Wir streiften bei Nieder-Dorla den „Mittelpunkt Deuschlands“, passierten den „Baumkronenpfad“, der in 20 m Höhe über 500 m durch die Wipfel führt, wir erhielten, angesichts der riesigen Abraumhalden, Auskünfte über den – inzwischen eingestellten – Kalibergbau und erfuhren Interessantes über den Anbau von WAID, der Pflanze, aus der man im Mittelalter die Farbe Blau gewann und die halb Thüringen, besonders Städte wie Erfurt, reich gemacht hat. „Blauer Montag“ und „blaumachen“ haben da ihren Ursprung.
Bei der Fahrt durch riesige Getreidefelder wurden manche Vorstellungen korrigiert, die das Land Thüringen weithin mit dem „Thüringer Wald“ gleichsetzen. Thüringen ist ein reiches Agrarland mit besten Böden in der „Goldenen Aue“ und im „Thüringer Becken“, der Kornkammer des Landes.
Nach einem kurzen Besuch bei dem – letzten – Meister einer Glasschmuck-Werkstatt, erreichten wir Oberhof, das Zentrum des Wintersports, in DDR-Zeiten die Kaderschmiede der Olympioniken, inzwischen noch weiter ausgebaut. Zu den Anlagen für Rodel und Biathlon und den drei Sprungschanzen – eine konnten wir direkt in Augenschein nehmen – kommt jetzt ein 2 km langer geschlossener Ski-Parcour, der – witterungsunabhängig – das Training das ganze Jahr hindurch ermöglicht. Eröffnung dieses „Ski-Tunnels“ ist im August dieses Jahres.
Oberhof ist nach Weimar und Erfurt das meistbesuchte Touristikzentrum von Thüringen, für uns schwer vorstellbar, da es nieselte und um die großen Hotels Nebel und Wolkenschwaden zogen.
Bei Sonnenschein steuerten wir das zweite Tagesziel an: Schmalkalden. Als wir Gotha passierten, zitierte unser Reiseführer das schlimme Wort von Bismarck bezüglich des Fürstenhauses „Sachsen-Gotha-Coburg“. Es sei das „Gestüt Europas“, weil von hier aus Königsfamilien in ganz Europa mit Ehekandidat/innen beliefert wurden.
Schmalkalden, vielleicht bekannt durch den Zusammenschluss protestantischer Fürsten im „Schmalkaldischen Bund“, glänzt durch seine vorzüglich restaurierten Fachwerkhäuser. Am Altmarkt haben wir die St. Georg-Kirche besichtigt, die schönste spätgotische Hallenkirche von ganz Thüringen. Luther hat da gepredigt, eine Lutherstube ist eingebaut, die wir allerdings mangels einer zweiten Aufsicht nicht besichtigen durften (Trau, schau wem!). Luther und Bach sind in Thüringen allgegenwärtig. Das Land ist stolz auf seine Genies.
Im Café erzählte uns die junge Chefin, dass in ihrer schönen Stadt rein gar nichts los sei, keine Disco, kein Kino, trotz der Fachhochschule „tote Hose“.
Dienstag, 23.06.
Auf dem Programm stand: „Volkenroda, Besuch einer ehemaligen Zisterzienser-Abtei“. Was als Routine-Besichtigung zu erwarten war, wurde für die meisten zu einem beeindruckenden Erlebnis. Die Führung begann in dem gut erhaltenen Chor der Klosterkirche, die in zisterziensischer Einfachheit im 12. Jh. von den Mönchen erbaut worden war. Um diesen zisterziensischen Geist neu zu beleben, haben sich hier auf dem Boden der alten Abtei Frauen und Männer zur ökumenischen „Jesus-Bruderschaft“ zusammengeschlossen. Zölibatär lebend, ist ihr Tag dem Gebet und der Arbeit gewidmet.
Der „Christus-Pavillon“ von der EXPO 2000 in Hannover ist, wie von vorneherein geplant, auf dem Boden der ehemaligen Abtei neu errichtet worden. Diese „Kirche“ ist ein Kunstwerk der Moderne, das den Besucher überrascht und in Erstaunen versetzt. Man muss es selber sehen! Deswegen hier nur wenige Anmerkungen: Die Größe ist für einen Pavillon ( „kleines Haus“) erstaunlich: 58 m lang, 37 m breit und mehr als 20 m hoch, das Ganze aus Stahl und Glas. Der umlaufende „Kreuzgang“ hat groß-quadratische Doppelverglasungen, deren Zwischenräume mit ganz banalen Dingen des Alltags gefüllt sind: Hunderte von Glühbirnen, durchscheinende Plastikbecher und -schläuche, Zahnbürsten, Zahnräder, Silberdisteln u.ä., dem EXPO-Motto entsprechend: „Mensch, Natur, Technik.“ Der Hauptraum, die eigentliche „Kirche“, ist ein Kubus – nach den Vorstellungen Bernhards von Clairvaux die Idealform einer Kirche – mit den Maßen 24 m x 24 m und fast derselben Höhe, wobei die Decke sich zum Himmel öffnet.
Der Nachmittag war der Besichtigung von Mühlhausen selber vorbehalten. Wir wurden von der „Mühlhausener Stadtbahn“ (Bimmelbahn) am Hotel abgeholt und eine reichliche Stunde durch die Stadt gefahren. Zur privaten Besichtigung dieser geschichtsträchtigen Stadt, in der wir vier Tage gewohnt haben, blieb leider nicht viel Zeit, da Kirchen und Museen bereits um 17 Uhr schlossen.
Eindrucksvoll, schon durch ihr Ausmaß, ist die Marienkirche, eine 5-schiffige hochgotische Hallenkirche, die an Größe nur vom Erfurter Dom übertroffen wird. Von hier aus rief Thomas Müntzer zum Kampf gegen die feudalen Unterdrücker auf. 1525 kam es bei Frankenhausen zur Schlacht, die mit einem entsetzlichen Massaker an den Bauern endete. Thomas Müntzer wurde gefangen genommen, verurteilt und bei Mühlhausen hingerichtet. In der DDR wurde er gleichsam als (sozialistischer) „Heiliger“ gefeiert. Die Stadt Mühlhausen erhielt den ehrenvollen Beinamen „Thomas-Müntzer-Stadt“. Ein anschauliches Bild jener Ereignisse vermittelt das „Bauernkriegsmuseum“ in der Kirche am Kornmarkt – etwas Vergleichbares über den Bauernkrieg sucht man bei uns vergebens.
Mittwoch, 24.06.
„Rundfahrt durch den Harz“, zum Glück wieder unter der kundigen Leitung von Herrn Ulrich von der Thüringen-Rundfahrt.
Erstes Ziel war das sog. „Josephs-Kreuz“ auf dem Auerberg (580 m), geplant von K. F. Schinkel. Es ist das größte Eisen-Doppelkreuz der Welt, fast 40 m hoch, 125 t schwer, von 100 000 Nieten zusammen gehalten. Vorbild war der Eiffelturm. Die 200 Stufen waren für die meisten von uns kein Problem, die Aussicht grandios!
Zum Abschluss der Harz-Rundfahrt folgte ein Gang durch die „Fachwerkstadt“ Stolberg. Es ist die Geburtsstadt von Thomas Müntzer, an den eine große Statue am Marktplatz erinnert. Neben ihm eine durch einen Schleier völlig verhüllte Nonne (Ausdruck tiefster Trauer). Stolberg trug, wie Mühlhausen, den ehrenden Beinamen „Thomas-Müntzer-Stadt“.
Schlussabend
Die Feier eines 80. Geburtstages gab Gelegenheit zu einem geselligen Zusammensein. Was wäre die Gruppe ohne die kabarettreifen Beiträge von zwei – nicht genannt werden wollenden – Mitgliedern!
Es gab viel Beifall für den Organisator und Leiter unserer Reise, Herrn Kurt Schürmann. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, zusammen mit seiner Frau die gesamte Reiseroute vorher „abzuchecken“, vor- und fürsorglicher geht es nicht! Der Erfolg dieser überaus interessanten Reise misst sich vielleicht auch daran, dass angeregt wurde, eine Fahrt nach Thüringen – in abgeänderter Route – nochmals anzubieten.
Donnerstag, 25.06.
Rückreise
Abfahrt pünktlich um 9 Uhr, herzlich verabschiedet von der Hotelleitung. Etappenziel: Erfurt! Die Landeshauptstadt wollten wir uns nun doch nicht entgehen lassen! Die anderthalbstündige Fahrt in einer speziell für Besucher eingerichteten Straßenbahn, führte durch alle bedeutenden Stadtteile. Dank der kompetenten und liebenswürdigen Stadtführerin, war die Fahrt überaus informativ. Mit einem Gang unter und über die Krämerbrücke schloss der offizielle Teil, die Zeit reichte noch für einen Besuch im Dom, in der Severikirche oder ganz einfach in einem Café.
Die Heimfahrt verlief ohne Probleme, nicht zuletzt dank des umsichtigen und freundlichen Busfahrers, dessen Fahrkunst wir uneingeschränkt vertrauen konnten.